Wertschätzung entscheidet über den Erfolg von Praxisunternehmen
Die Behandlung von Patienten wird bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten ebenso wie in privat geführten Kliniken immer mehr zum reinen Rechenexempel. Die Wirtschaftlichkeit bestimmt notgedrungen, was noch angemessen, notwendig und zweckmäßig sein kann. Und wo der monetäre Wert eines Patienten im Vordergrund steht, da ist es mit der Wertschätzung meist nicht mehr weit her. Wie kann es also sein, dass ausgerechnet die Patientenorientierung – und damit das Eingehen auf Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen des Patienten – zum Erfolgsfaktor werden soll Darauf Antwort gaben Kommunikationsexpertin und Wirtschaftspsychologin Daniela Wiessner aus München sowie Sportmediziner und Orthopäde Dr. med. Ulrich Frohberger aus Münster in ihrem gemeinsamen Vortrag auf dem 6. Kongress für sensomotorische Haltungstherapie und Sportmedizin.
Patientenorientierung in der Medizin
Sie sei das Natürlichste der Welt – so denkt man. Doch William Osler (1849-1919), kanadischer Arzt und häufig als Vater der modernen Medizin bezeichnet, stellte bereits vor über 100 Jahren fest: „Der gute Arzt behandelt Krankheiten. Der große Arzt behandelt Patienten.“ Da scheint es also einen Unterschied zu geben. Heute womöglich mehr denn je?
Gesellschaft im Wandel
Wir leben in einer Zeit, in der apparative High-Tech-Medizin und die Segnungen der Pharmaindustrie vieles von dem verdrängen, wofür die Medizin ursprünglich einmal stand: Menschlichkeit, Berührung, Anteilnahme. Zudem steuern wir auf enorme Veränderungen, Herausforderungen und regelrechte Paradigmenwechsel zu. Ob Digitalisierung, die vielzitierten jungen Generationen Y oder Z – mit ihren völlig neuen Bedürfnisstrukturen –, oder herausragende zukünftige Möglichkeiten der Medizin, basierend auf der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, der Chronobiologie oder Nanotechnologien. Wohin wir auch blicken, wir stehen auf allen Ebenen der Gesellschaft vor großen Umbrüchen.
Wie sollen wir das alles schaffen?
Leb wohl streng hierarchisch organisiertes Industriezeitalter. Willkommen Zeitalter der Freiheit, des Bewusstseins und der Selbstentfaltung! Fortschrittliche Unternehmen in unserem Land stellen sich schon länger die Frage: Wie sollen wir das alles schaffen? Welche Werkzeuge braucht die Zukunft? Wieviel Führung verträgt die Jugend? In den Arztpraxen und Kliniken hingegen beobachtet man vielfach noch immer die guten alten Strukturen. Was sich seit Jahrzehnten bewährt hat, kann doch so falsch nicht sein? Was ist auf einmal nicht mehr richtig an autoritärer Führung: Die Ansage „Ich Chef, Du nix!“ hat doch Generationen von hervorragenden Chirurgen hervorgebracht. Warum das ändern?
“Sie sind ein guter Arzt? Aber reicht das aus, um höchst erfolgreich zu sein?”
Ein guter Arzt wird immer gebraucht! Das mag sein. Doch trägt es auch in die Zukunft? Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sehen sich immer mehr als Unternehmer und Führungskräfte gefordert. Die Privatklinik kann nur Versorger sein, wenn sie sich betriebswirtschaftlich bewährt und ihre Zukunft sichert. Der Preis dafür ist hoch. Viele Ärztinnen und Ärzte, medizinisches Fachpersonal und Pflegekräfte bekommen den teilweise unmenschlichen Druck zu spüren. Auch die Patienten. Sie werden verwaltet, durchgeschleust, nach Standard behandelt – trotz aller Möglichkeiten der Individualmedizin.
Wo bleibt denn da der Sinn?
Wenn wir von Patientenorientierung als Erfolgsfaktor in Arztpraxen und Kliniken sprechen, dann geht es vor allem um eines: Lebensqualität! Für die Behandler, die Patienten und – so gar nicht zuletzt – für die Mitarbeiter. Doch wie soll das gehen? Gerade in der Medizin sind es nicht die herkömmlichen Werbestrategien und manipulativen „Marketinggesänge“, die das Unternehmen Arztpraxis oder Klinik nachhaltig an die Spitze bringen. Das wäre weder ethisch, noch erlaubt. Auch hier kann wieder Herr Osler zitiert werden, der fast visionär so trefflich formulierte: „Die ärztliche Praxis ist eine Kunst, kein Handelsgeschäft, eine Berufung, kein Laden (…).“ Gut, sich das immer mal wieder vor Augen zu führen.
Passion, Purpose, Profit – die 3 P´s erfolgreicher Gesundheitsunternehmen
Trotzdem muss der Profit im Praxis- bzw. Klinikunternehmen stimmen. Besser noch, wenn er mit Passion (Leidenschaft) und Purpose (Sinn) für alle Beteiligten einhergeht. Erfolg in der Arztpraxis oder Klinik braucht somit noch weit mehr, als man in der klassischen Betriebswirtschaftslehre lernt. Was fehlt? Die Antwort darauf zeichnet sich aktuell immer deutlicher und gestützt von unterschiedlichsten Studien ab. Was großen Industriekonzernen ebenso wie kleinen Unternehmen am Gesundheitsmarkt fehlt, ist das, was Medizin grundsätzlich ausmachen sollte: Menschlichkeit, Sinn und gelebte Werte.
SINNergie zieht Patienten und Mitarbeiter an
Dazu Daniela Wiessner: „Marketing, Kommunikation, Werbung – all das hat seine Berechtigung im Unternehmen „Praxis“ oder „Klinik“. Doch es braucht noch mehr. Ein Leuchtfeuer, dem die Menschen folgen wollen. Und das kann nur ein gemeinsamer, tief empfundener Sinn sein. Die Ausrichtung darauf, etwas Größerem zu dienen bzw. etwas Größeres zu erhalten, als lediglich das Streben nach Profit. Ich nenne das SINNergie. Sie zieht Patienten und Mitarbeiter gleichermaßen an.“
Patientenorientierung in der Praxis
Sportmediziner Frohberger zeigt in dem Vortrag am Beispiel seiner eigenen Praxis in Münster auf, wie moderne Medizin besser auf den Menschen abgestimmt werden kann – und dadurch ganz nebenbei zu größerem unternehmerischen Erfolg führt. Patientenorientierung schlägt sich bei ihm in einem konsequent auf den Menschen ausgerichteten Praxiskonzept nieder. Seine Botschaft: „Es ist nie zu spät, für einen vitalen leistungsstarken Körper.“ Damit wendet er sich klar von der klassischen Reparatur- und Konsummedizin ab und legt den Fokus auf eine individuelle Medizin, die sich nicht scheut, über den Tellerrand des eigenen Fachbereichs hinauszublicken.
Begeistern durch Kompetenz und Service
Orthomolekularmedizin, Ernährungsmedizin, Mitochondrienmedizin, Stressmedizin – das breite Spektrum ermöglicht Frohberger unter dem Dach einer Praxis für Orthopädie und Sportmedizin sich den Regulations- und Selbstheilungsprozessen des Menschen zu widmen. Seine Überzeugung: „An jedem Knie hängt auch ein Mensch. Das vergisst man heute bei all der Spezialisierung gerne mal.“ Sein Ziel: Menschen stärken auf allen Ebenen ihres Seins.
Professionelle Kommunikation als Schlüssel
Professionelle, patientenorientierte Kommunikation bildet dabei die Brücke vom Arzt zum Patienten. Sie klärt die Patienten in ihrer eigenen Sprache über die besonderen Methoden der Praxis auf. Dadurch können die Patienten selbst eine Entscheidung treffen. Sie haben die Wahl. Reicht die Spritze ins Knie oder darf es etwas mehr sein?
Differenzierung über Begeisterungsfaktoren
Leistung und Zeit werden in der Praxis bewusst als Begeisterungsfaktoren eingesetzt. Über solche Begeisterungsfaktoren, zu denen auch außergewöhnlicher Service zählt, differenziert sich der Sportmediziner und Osteologe von seinen Wettbewerbern. „Ich bin glücklich, einen Weg gefunden zu haben, all das innovative Wissen der modernen Medizin meinen Patienten in Form ganzheitlicher Therapiekonzepte anbieten zu können. Dies erfüllt nicht nur mich, sondern auch meine Mitarbeiter mit viel Sinn und Freude in der Arbeit. Der Einsatz meines Teams hat sich dadurch stark erhöht. Auch die Arbeitszufriedenheit.“
Sinn macht sich bezahlt
Sinnhafte Begeisterungsfaktoren sind es auch, welche nach dem sogenannten Kano-Modell (Noriaki Kano,* 1940) die Zufriedenheit der Patienten steigern und deren Bereitschaft erhöhen, für Wahlleistungen jenseits der Kassenmedizin zu bezahlen. Leistungen, zu denen übrigens auch besondere Serviceleistungen wie aufmerksames Zuhören oder schlicht eine kleine Aufmerksamkeit, wie ein servierter Kaffee im Wartezimmer, zählen. Patienten fühlen sich dadurch gesehen, gewertschätzt und in ihren Bedürfnissen wahrgenommen. Und diese Wertschätzung rechnet sich. Für alle!
Wer Leistung will, muss Sinn bieten
Das Fazit von Wiessner und Frohberger lautet: Wer neben der praktizierten Medizin auch noch ein wenig die Welt verbessern möchte, der rückt wieder Wertschätzung, Sinn und Menschlichkeit in den Fokus seines Handelns. Das gilt für große wie kleine Unternehmen und führt ohne Umwege zu engagierten, lernbereiten und zufriedenen Mitarbeitern.
Fazit: Wer „SINNergie“ stiftet, der braucht die Zukunft nicht zu fürchten. Oder, um es mit den Worten von Daniela Wiessner auf den Punkt zu bringen:
„Wer Leistung fordert und Patienten wie Mitarbeiter begeistern will, muss Sinn bieten.“
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